Göttingens Uni-Knast für „Unfug aller Art“

Mit diesen Anekdoten und Insidertipps kannst du beim nächsten Besuch deiner Eltern den obligatorischen Stadtrundgang aufpeppen.

Hinter der Fassade der Göttinger Aula schlummert ein Gefängnis. Bis 1933 mussten Studenten im sogenannten Karzer über ihre Fehltritte nachdenken.

Vor hundert Jahren war Göttingen eine andere Welt. Nicht nur, weil noch Pferdekutschen fuhren und in den Straßen Laternenlichter brannten. Es war auch eine Welt, in der „beständige Faulheit“ mit Gefängnis bestraft wurde. Jeder, der sich einer kleineren Verfehlung strafbar machte, wurde der akademischen Gerichtbarkeit unterstellt. Wer Pech hatte, landete im Karzer.

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Bestraft wurden unter anderem nächtliches Lärmen, Duelle, zu schnelles Reiten in der Stadt, das Ausschmeißen von Laternen, sowie „Unfug aller Art“. Wirklich gefürchtet war die Inhaftierung im 20. Jahrhundert jedoch nicht mehr, im Gegenteil. Wer was auf sich hielt musste in den Karzer, oder ihm drohte der Ruf eines Weicheis. Otto von Bismarck wurde während seiner Studienzeit (1832-33) insgesamt zu achtzehn Tagen Haft verurteilt. Vorgeworfen wurden ihm die Teilnahme an illegalen Duellen und öffentliches Tabak-Rauchen. Bismarck saß seine Strafe noch im Concilienhaus ab, dem ursprünglichen Karzer-Gebäude in der Prinzenstraße 1. Man wich später auf die Aula aus, da das Häuschen nicht mehr genügend Platz für die Insassen bot.

Vier Zimmer des Universitätskarzers am Wilhelmsplatz sind heute für Besucher geöffnet. Als Teil einer Stadtführung kann man sich die alten Gemäuer ansehen. Der Karzer hat sogar seinen hauseigenen Pedell. Hausmeister Windel führte am Tag der offenen Tür im rotem Gewand durch die Räume und lässt den alten Zeitgeist wieder aufleben. Durch Spenden wurden die zahlreichen Zeichnungen, Sprüche und Schmierereien an den Wänden restauriert. Viele Studenten verewigten hier ihre Namen oder das Konterfei ihrer Verbindung. Der schmale Raum bot nicht viel mehr als einen Holztisch und ein Bett mit Strohsack und Bettpfanne.

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Um sich die Zeit zu vertreiben, wurden die Insassen kreativ. So entstand aus einer Straftat das folgende Gedicht:

Als ich sie zuerst gesehen 
Dacht ich nur das eine:
Himmel, brennt die Lampe schön!
Diese oder keine!

Etwas später als diese Straßenlaterne endete jedoch auch der Karzer. 1933, nach dem Scheitern der Weimarer Republik, wurden die akademische Gerichtbarkeit und damit auch das Universitäts-Gefängnis aufgelöst. Die romantische Welt der inhaftierten Rabauken war vorbei. Jetzt gab es andere Regeln, gegen die es zu verstoßen galt.

Heute würden Studierende, die in einem „Uni-Knast“ sitzen und die Wände beschmieren für einige Schlagzeilen sorgen. Egal ob sie in der Einkaufsstraße Rad fahren oder betrunken an Laternen rütteln. Das kostet höchstens Geld, aber selten die Freiheit. Schade eigentlich, so viel verschwendetes Kunstpotenzial.

On special oc.
Beim Tag der offenen Tür am Wilhelmsplatz schlüpft auch mal der Hausmeister Herr Windel in das Kostüm des Pedells.
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