Die Göttinger Achtzehn oder Die Verantwortung der Wissenschaft

Die folgende Geschichte ist zwar schon 60 Jahre alt, aber im Grunde immer noch aktuell. Denn es geht um die Verantwortung von Wissenschaftlern: Nicht nur dafür, was sie erforschen, sondern auch, wie sie mit ihren Forschungsergebnissen umgehen.

Jede Medaille hat zwei Seiten

Die Göttinger Sieben kennt jeder – aber was ist mit den Göttinger Achtzehn? Das war eine Gruppe von Atomforschern, achtzehn an der Zahl, wer hätte es gedacht, die 1957 ein Manifest gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen herausbrachten. Da viele von ihnen in Göttingen studiert, promoviert oder gearbeitet  hatten, unter anderem die Physik-Nobelpreisträger Max Born und Werner Heisenberg, gingen sie eben als „Göttinger“ Achtzehn und vor allem als für den Frieden kämpfende Wissenschaftler in die Geschichte ein. Friede, Freude, Eierkuchen könnte man denken. Wären da nicht diese hartnäckigen, immer alles hinterfragenden Göttinger Studenten. Besser gesagt der ehemalige Göttinger Student und jetzt promovierte Politikwissenschaftler Dr. Robert Lorenz, der der Sache in seiner Dissertation auf den Grund ging und herausfand – so heldenhaft wie immer dargestellt, war das Manifest der Göttinger Achtzehn nun auch wieder nicht.

„Die Göttinger Achtzehn wären sicher die größten Feinde der heutigen Anti-Atom-Bewegung.

Aber immer der Reihe nach. Nachdem Konrad Adenauer gegenüber der Presse die Ausstattung des deutschen Militärs mit Atomwaffen als „Weiterentwicklung der Artillerie“ verharmloste, unterzeichneten die achtzehn Forscher eine Erklärung, in der sie von der Regierung forderten, die Atomforschung nicht für militärische Zwecke zu nutzen. Zwar war Adenauer erstmal empört, dass Wissenschaftler sich in die Politik einmischten, aber weil das Manifest in den Medien große Aufmerksamkeit bekam, es wurde in der Süddeutschen, FAZ und Die Welt abgedruckt, konnte er es schlecht ignorieren. So lud Adenauer fünf der Atomforscher zum Gespräch ein und konnte sie davon überzeugen, dass er nicht weiter beabsichtigte Atomwaffen zu produzieren. Daraufhin wurden die Göttinger 18 als verantwortungsvolle Wissenschaftler gefeiert.

Doch laut Dr. Robert Lorenz  „wären die Göttinger 18 sicher die größten Feinde der heutigen Anti-Atom-Bewegung.“ Denn was oft unter den Tisch fällt, ist, dass sich die Atomforscher in ihrem Manifest  für die „friedliche Nutzung“ von Atomenergie einsetzten, obwohl sie von deren Risiken, wie Reaktorexplosionen und der problematischen Entsorgung von Atomabfällen, wussten. Anscheinend berieten sich die Wissenschaftler per Brief, ob sie diese Risiken der Öffentlichkeit bekannt machen sollten und einigten sich dann darauf, Stillschweigen zu bewahren. Lorenz meint, dass es eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Karrieredenken war, die die Wissenschaftler zu dem Manifest veranlasste. Denn erst 12 Jahre zuvor hatte die Erfindung der Atombombe rund 100.000 Menschen in Japan getötet. Das Ansehen der Atomforschung bei der Bevölkerung war im Keller. Die Aufrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen hätte da sein Übriges getan. Doch das, so Lorenz, wollten die Wissenschaftler verhindern und warben verharmlosend für die Erzeugung und Nutzung von Kernenergie. Er erklärte 2012 in einem Interview der taz: „Im Prinzip war die Göttinger Erklärung eine große Propaganda-Aktion gegen das Image der Atomforschung als Wissenschaft des Todes.“

Konferenz „In Publica Commoda“: Verantwortung zur Aufklärung der Gesellschaft

Die Geschichte der Göttinger Achtzehn wirft die Frage auf, welchen Einfluss die Art und Weise wie Wissenschaft kommuniziert wird, auf die Gesellschaft hat. Wäre in Deutschland schon früher eine Anti-Atom-Bewegung entstanden, wenn die Risiken von Kernenergie schon damals bekannt gemacht worden wären?  Wären wir in Sachen erneuerbare Energien heute schon viel weiter, wenn die Wissenschaftler von damals ihr Wissen ehrlich an die Öffentlichkeit gebracht hätten? Mit Sicherheit beantworten, kann man das nicht. Aber fest steht: Forschung hört nicht beim Erkenntnisgewinn auf.

Mit dem, was danach kommt, beschäftigt sich die Konferenz „In Publica Commoda“ vom 17. bis 19. November in der alten Mensa am Wilhelmsplatz. Dort soll  in Vorträgen und Podiumsdiskussionen erörtert werden, wie der Transfer von Wissen in die Gesellschaft gestaltet werden kann und welche konkreten Aufgaben die Wissenschaft dabei übernehmen muss. Organisiert wird das Ganze von der Uni und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Hier kannst du dich zur Konferenz anmelden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Gwendolyn Barthe, 22, studiert im Bachelor Soziologie. Beim Schreiben isst sie am liebsten Gummibärchen.

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