Alles an seinem Platz – Die Loci-Methode

Früher war ich mal richtig gut im Auswendiglernen. Gedichte, Jahreszahlen, Citratzyklus – in der Schulzeit war das kein Problem. Jetzt, ein fast abgeschlossenes und sehr Hausarbeiten-lastiges Studium später, ist diese Kompetenz ziemlich verkümmert.

Meine Technik zum Auswendiglernen ist simpel: Ich schreibe mir immer gerne Dinge auf. Wenn ich sie auswendig lernen möchte, lese ich sie mir dann so oft durch, bis ich sie kann. An guten Tagen mache ich mir auch mal eine Eselsbrücke. Nicht besonders einfallsreich und, zumindest in den vergangenen Jahren, auch nicht sonderlich langlebig. Ein Großteil des Gelernten bleibt oft maximal bis zur Abfrage in der Klausur in meinem Kopf. Annika Köhne von der Zentralen Studienberatung hat deswegen einen anderen Vorschlag für mich: die Loci-Methode.

Bei der Loci-Methode geht es darum, zu lernende Fakten an vertrauten Orten zu visualisieren. „Am besten fängt man erst mit einem Zimmer an. Wenn es dann zu viele Sachen sind, kann man sozusagen aus der Tür rausgehen und die Räume des Hauses weiterbenutzt“, erklärt die Studienberaterin. Möglich sei auch jede beliebige Route, die man häufig geht. Also der Weg zur Uni, zur Bushaltestelle oder der alte Schulweg. Man könnte sogar den eigenen Körper benutzen. „Die Hauptsache ist: Man muss sich nicht anstrengen, um sich daran zu erinnern, wie dieser Raum aussieht. Es muss etwas Bekanntes sein.“
Klausuren muss ich keine mehr schreiben, trotzdem möchte ich die Loci-Methode ausprobieren. Aufgrund einer eklatanten Allgemeinbildungslücke was Landespolitik angeht, beschließe ich also, mir Politiker*innen vorzunehmen: Zehn Menschen (Annika Köhne empfiehlt, erstmal langsam anzufangen), ihre Ämter und dazugehörigen Gesichter. Das sollte sich doch machen lassen.

Bevor ich loslege, bin ich allerdings skeptisch. Ich habe in den Medien schon öfters von der Loci-Methode gehört; Sherlock Holmes hat sich damit zum Beispiel einen Gedankenpalast gebaut. „Theoretisch ist es möglich, die Methode für eine riesige Menge an Informationen zu verwenden, aber dafür muss man natürlich trainiert sein“, erklärt Annika Köhne. Wenn man mit dem Zimmer oder am eigenen Körper arbeitet, habe man zwar nur begrenzte Möglichkeiten, Gedächtnissportler*innen und Lernende, die im Training sind, seien aber in der Lage, die Methode fast unendlich auszuweiten.
Und das soll mir auch helfen? Ich bin mir nicht sicher, wie ich starten soll und verfalle erstmal in alte Verhaltensmuster: Ich schreibe Dinge auf. Doch während ich die Politiker*innen nach und nach notiere, fällt mir auf, dass manche Namen sich zur Visualisierung perfekt eignen. Frau Schäfer hat Schafe, Herr Mäurer zieht eine Wand hoch. Und auch manche Posten lassen sich super in meinem Zimmer verankern: die Umweltsenatorin sitzt bei den Pflanzen, das Innenministerium ist im Schrank, das Sportressort auf der Yogamatte… Annika Köhnes Worte sind mir Befehl: „Je bildlicher man etwas vor Augen hat, oder eine Assoziation dazu, umso besser kann man es sich einprägen.“ Natürlich lässt sich Loci auf für andere Inhalte anwenden. Die ZSb arbeitet in ihren Lernmethoden-Workshops zum Beispiel immer den gefährlichsten Bakterien der Welt. Wie soll man sich Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa und Konsorten visualisieren? Auch hier gilt: Kreativität gewinnt! Nach was hört sich der Begriff an? Welche persönlichen Assoziationen kommen hoch, wenn du das Wort hörst? Für mich ist es ganz klar: ein Entenroboter und eine verärgerte Mona-Lisa.
Bei meinem Projekt hat es zwar etwas gedauert, alles entsprechend zu visualisieren, aber in der Zeit habe ich mich auf jeden Fall schonmal kreativ mit dem Stoff auseinandergesetzt. Beim anschließenden Durchgehen habe ich auch schnell gemerkt, welche Bilder mir leicht im Kopf bleiben und wo ich nochmal nacharbeiten muss.

Annika Köhne empfiehlt, den angelegten Raum oder die angelegte Strecke nach 10 Minuten das erste Mal „abzugehen“ und alles nach 24 Stunden, einer Woche und kurz vor der Prüfung zu wiederholen. Für kurzfristiges Auswendiglernen in der Nacht vor der Klausur ist die Methode also eher nicht gedacht. Aber das sei auch schonmal besser, als sich gar nicht mit dem Stoff zu beschäftigen, sagt die Studienberaterin, eine Woche Vorlaufzeit sollte man sich aber bestenfalls mindestens einplanen.

Die Methode ist dabei vielseitig einsetzbar: Begriffe, Fremdwörter, aber auch Reihenfolgen, zum Beispiel wenn man sich ohne Notizen durch einen Vortrag hangeln möchte, sind möglich. „Schlagworte, Listen, Abfolgen“, zählt Annika Köhne auf. „Dafür ist Loci gut. Auch, weil man gar nicht so viele Informationen unterbringen kann.“ Und das ist die Loci-Schwäche: bei komplexeren Inhalten oder Zusammenhängen hilft sie nicht weiter.

Nichtsdestotrotz hat mich die Methode begeistert. Meine Skepsis vom Anfang ist ziemlich schnell verflogen, als ich gemerkt habe, dass mir das Visualisieren der Information gar nicht schwer fällt. Zudem bin ich meinen Raum viel öfter „abgegangen“ als empfohlen: Beim Einkaufen, Fahrradfahren, wenn mein Gehirn einfach mal Leerlauf hatte. Hinzu kam ein kleiner Motivationsboost: Als ich festgestellt habe, wie gut die Methode für mich funktioniert, war ich direkt viel motivierter, auch andere Fakten auswendig zu lernen. Ich freue mich jetzt fast schon darauf, auch die anderen Räume meiner Wohnung, meinen Weg zur Uni und mein ehemaliges Kinderzimmer mit visualisierten Fakten und Informationen auszustatten.

Disclaimer

Meine Situation ist konstruiert. Ich lerne nicht auf eine Klausur hin, von meinem Können oder Versagen hängt keine Note ab. Ich möchte mir nur selbst etwas beweisen. Studis, die wirklich eine Klausur im Nacken haben, haben wahrscheinlich andere Mengen an Stoff, aber gleichzeitig auch einen ganz anderen Ansporn als ich. Ausprobieren lohnt sich also auf jeden Fall!

 

Die gesamte #unigoelernt-Reihe mit all ihren Expert*innen-Tipps findet Ihr hier im Instagram-Highlight.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert