„Promoviert und tätowiert“ – Ein Kustos auf Instagram

Die Sonne scheint, ich höre die Bienen summen und genieße den Anblick von bunten Blumen im Alten Botanischen Garten. Plötzlich klingelt meine Eieruhr. Meine Nudeln sind fertig. Nein, ich koche mein Mittagessen nicht draußen auf einer mitgebrachten Kochplatte, sondern sitze zuhause an meinem Schreibtisch, beobachte durch mein Fenster das graue und stürmische Wetter und scrolle mich durch die Facebook-Seite des Vollblutbiologen. Kenner*innen wissen, wer hinter diesem Account mit mehr als 450 Follower*innen steckt. Dr. Michael Schwerdtfeger zeigt seit über einem Jahr fast tagebuchartig seinen Berufsalltag und den Bestand des Alten Botanischen Gartens in den sozialen Medien und kommt, wie man es an den vielen Likes sehen kann, sehr gut an. Seit 25 Jahren leitet der promovierte Biologe den grünsten Hotspot in der Stadt. Angeregt durch seine Social Media-Aktivitäten mache ich mich jetzt auf den Weg zum Alten Botanischen Garten und treffe mich offline mit Michael Schwerdtfeger in seinem Büro. Dort angekommen spreche zuerst mit ihm – richtig kreativ und innovativ – über das Wetter… Hm, das kann ich eigentlich besser und erwähne beiläufig im Interview, dass ich ihm auf Facebook folge und der BLUG auch so auf ihn aufmerksam geworden ist. Sofort fragt er mit wachem Blick nach: „Folgen Sie mir denn auch schon auf Instagram?“

Nein, das tat ich nicht. Prompt zücke ich mein Handy, öffne Instagram und finde ihn sofort. Dort erwartet mich aber ganz anderer Content als auf Facebook. Sein Insta-Account ist gefüllt mit Zeichnungen von Tieren und Pflanzen und einigen Fotos von tätowierten Menschen. Hier lebt der Vollblutbiologe seine zweite große Leidenschaft neben der Botanik aus: Tätowierungen. Seit frühster Kindheit ist er davon schwer fasziniert, obwohl es gerade in seiner Generation eine große Abneigung dagegen gibt: „Tattoos waren für verkrachte Existenzen, sagte man. Es waren damals aber auch nur so grottige Motive, die man sich von besoffenen Bikern in einer Kellerkaschemme hat stechen lassen“, sinniert Michael Schwerdtfeger belustigt. Heutzutage ist es zum Glück anders. Auf Instagram postet er seine selbstgezeichneten Tattoovorlagen und Fotos von seinen Studierenden, die diese Vorlagen auf ihrer Haut tragen.

 

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Dabei handelt sich aber nicht um Motive für die Ewigkeit, die mit einer Tattoonadel gestochen werden, sondern um die Pflanzenfarbe Jagua aus Mittel- und Südamerika, die, ähnlich wie das bekanntere Pendant Henna, aufgemalt wird. Jagua wird aus dem Fruchtsaft eines Regenwaldbaums gewonnen, färbt die Haut dunkelblau und hält etwa für zehn Tage. Quasi ein Tattoo zum Ausprobieren. Die Motive malt er in seinen sogenannten Jagua-Sessions seinen Studis selbst auf die Haut. Besonders freut er sich, wenn er große Tattoos aufmalen darf, wie riesige Vogelspinnen, Skorpione oder Giraffen. Unauffällige Tattoos macht er zwar auch, aber will den Sinn dahinter nicht so ganz verstehen: „Früher schämte man sich für kleine Tattoos, jetzt schämt man sich für kleine Tattoos“, philosophiert er laut lachend.

Michael Schwerdtfeger wäre nicht der Vollblutbiologe, wenn er dieses Thema nicht irgendwie in seinen Forschungen unterbringen könnte: „Es ist Biologie durch und durch. Nicht nur die Motive, sondern auch der Farbstoff“, erklärt er mir mit einem sehr überzeugenden Gesichtsausdruck. Seine beiden Passionen vereint er sowohl in einer wissenschaftlichen Publikation (als Erster weltweit), als auch in einem Vortrag mit dem Titel „Promoviert und tätowiert. Tattoos zwischen Wissenschaft und Leidenschaft“, der sowohl bei Studierenden als auch bei Rentner*innen und – zu seiner Überraschung – bei seinen Kolleg*innen sehr gut ankommt: „Es ist ja fast sowas wie ein Outing, dass man unter seriösen Kustod*innen diese Tattoo-Bombe platzen lässt. Aber dieses Doppelleben als seriöser Botaniker und Tattoophiler macht mir sehr viel Spaß.“

Natürlich kommt bei allen den Leidenschaften auch sein Beruf nicht zu kurz. Dazu gehört nämlich unter anderem die Pflege der botanischen Sammlung, der Austausch zwischen nationalen und internationalen Wissenschaftler*innen und die Lehre, bei der er seinen Studierenden vor allem die Biologiebasics vermittelt. Ähnlich ist es auch bei den zahlreichen Besucher*innen des Alten Botanischen Gartens, denen er möglichst unterhaltsam und zugänglich die Botanik näher bringen möchte. Er gibt zum Beispiel private Führungen für Kirchengemeinden oder Landfrauengruppen. Das kostet ihn zwar viel Zeit, macht ihm aber umso mehr Freude: „Für die Leute ist es ja immer neu und ich sehe dann ein Leuchten in den Augen und bekomme Feedback. Das macht mir total Spaß“, schmunzelt er.

Viel Spaß macht ihm auch der öffentliche Auftritt bei Facebook, wo er sein botanisches Wissen digital teilt, wie z.B. in der Rubrik „Schwertis Lieblingsblumen“. Das begeistert nicht nur Garten-Laien wie mich, sondern auch andere Botanikfans, die in den Kommentaren mit dem Vollblutbiologen im regen Austausch stehen. Unter den Posts gibt es Lob für schöne Passionsblumen, Fragen zur richtigen Bewässerung oder Tipps für selbstgemachtes Quittengelee.

Angefangen hat seine „Influencer“-Karriere im letzten Jahr mit der Titanwurz, einer riesigen Blüte, die sich nur für eine Nacht öffnet und zum Großereignis im Alten Botanischen Garten avancierte. Von Februar bis März 2018 strömten täglich zahlreiche Menschen in das Gewächshaus und fragten den Gartenkustos Schwerdtfeger, wann die Titanwurz endlich blühe. Um besser auf die Frage reagieren zu können, erstellte Michael Schwerdtfeger den Facebookaccount „Vollblutbiologe“ und informierte die interessierten Göttinger*innen nun online über den aktuellen Blütenstand der Titanwurz. Auch der BLUG konnte sich damals dem Titanwurz-Fieber nicht entziehen und war für euch vor Ort, wie ihr hier nachlesen könnt.

Michael Schwerdtfeger und der Titanwurz im Februar 2018.

Nach diesem Gespräch folge ich dem Vollblutbiologen nicht nur auf Facebook, sondern auch auf Instagram und habe nun sehr oft filigrane Zeichnungen und viele tätowierte Menschen mit glücklichen Gesichtern in meiner Timeline. Mal was anderes als immer nur Fotos von Quinoa-Brot mit Schmand aus Cashewnüssen… Nach meinem Gespräch mit Michael Schwerdtfeger scrolle ich mich aber nicht nochmal durch seine Posts, sondern laufe in echt die bunten Beete im Alten Botanischen Garten ab. Plötzlich vibriert mein Handy. Eine Benachrichtigung von Instagram. Der Vollblutbiologe will mir folgen. Ich bestätige die Anfrage, freue mich und fühle mich ein bisschen fame. Ich stecke mein Handy wieder ein und begebe mich ins Grüne.

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Swantje Hennings, 25, studiert im Master Komparatistik, vorher BA in Deutsch und Geschichte. In Göttingen oft für das Campusradio GöHört unterwegs und jetzt auch als Bluggerin auf Achse.

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