Mal etwas anders leben in der Goßlerstraße

Schon als ich an der gegenüberliegenden Straßenseite mein Fahrrad anschließe, höre ich, wie jemand Nägel in einen Balken hämmert und das Kreischen einer Kreissäge. Die Vorderseite des Hauses ist halb abgerissen, an einem herausragenden Balken hängt ein rotes Banner mit dem Spruch „Gemeinsam gegen Abschiebungen“. Ich befinde mich in der Goßlerstraße vor Haus Nummer 17 / 17a, fast direkt gegenüber der Mensa am Turm. Vorne gibt es keinen ersichtlichen Eingang, also gehe ich an den Bauarbeitern vorbei in den Garten, wo ich prompt meiner Interview-Partnerin Feli in die Arme laufe. Feli wohnt selber in einer der acht WGs und ist Gründungsmitglied der Projektgruppe GO17. Gerade ist Feli damit beschäftigt, ein weiteres Banner zu malen, das vermutlich ebenfalls bald die Hausfront zieren soll.

Die Sonne brennt vom Himmel, also setzen wir uns an einen kleinen runden Tisch im Garten. Dieser ist durch eine Hecke und einige Bäume sehr angenehm schattig und die Hängematte, die zwischen zwei Bäumen gespannt ist, lädt einen geradezu zu einem kleinen Nickerchen ein. Dazu ist jetzt jedoch leider keine Zeit, denn Feli setzt sich schon im Schneidersitz auf einen der gemütlichen Gartenstühle, gegenüber von mir und fängt an mir von der Entstehung und den Hintergründen des Projekts zu berichten.

Blick durch den Garten auf den Hintereingang des Hauses.

Sie erzählt mir, die Hausprojektgruppe GO17 habe sich sich in Folge einer Auseinandersetzung mit dem Göttinger Studentenwerk gebildet. Inhaltlich ging es dabei um Mietpreiserhöhungen, die die Gruppe als Anlass nahmen, sich mit anderen kleinen Göttinger Wohnheimen zu organisieren und sich für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum einzusetzen. Als es schließlich im Mai 2017 zur bereits angekündigten Mietpreiserhöhung kommen sollte, beschloss die Gruppe, mit Unterstützung des Vereins zur Förderung von Bildung, Kultur und studentischem Leben, das Haus vom Studentenwerk abzukaufen und den Wohnraum in Kollektiveigentum zu überführen, um dort „gemeinschaftlich, selbstbestimmt und solidarisch“ leben zu können. Dies beinhaltet auch alle Aufgaben und Arbeiten, die im und um das Haus herum anfallen. Nach Bildung der Projektgruppe dauerte es aufgrund der Verhandlungen und dem bürokratischen Aufwand jedoch noch fast anderthalb Jahre, bis schließlich eine Einigung mit dem Studentenwerk erzielt werden konnte und der Kaufvertrag unterschrieben wurde.

Dort wo früher die Wintergärten waren, steht nun dieser Slogan.

Nach diesem Erfolg ist es momentan die Aufgabe der Gruppe, das Haus zu renovieren (was auch den Baustellenlärm und die vielen Bauarbeiter erklärt, die ich bei meiner Ankunft gesehen habe) und auf Vordermann zu bringen. Zuletzt wurden beispielsweise die Wintergärten abgerissen, die nun erneuert werden sollen. Für die gesamte Renovierung planen sie mit ca. fünf bis sechs Jahren, bei der es allerdings mit Sicherheit, wie bei jeder Renovierung, immer wieder kleine und größere Probleme – Verzögerung bei der Materiallieferung, Messfehler, Verlegen neuer Leitungen, etc. –  geben wird.

Die Finanzierung läuft hauptsächlich über den Verein oder über Kredite, wobei die Gruppe jedoch versucht, einen Großteil der Arbeiten über solidarische Handwerker/innen laufen zu lassen, oder sie selbst zu übernehmen, um so die Kosten zu senken. Nur bei wirklich schwierigen Arbeiten, beispielsweise dem Gießen des Fundaments, benötigt die Gruppe angeleitete Hilfe oder es müssen eben doch Expert/innen übernehmen. Zudem versuchen sie, sich bei der Renovierung hauptsächlich auf ökologische Materialien zu beschränken, laut Feli klappt dies auch gut, gerade durch Kontakte zu anderen Projektgruppen, die schon ähnliche Erfahrungen gesammelt haben, oder durch extra darauf spezialisierte Firmen.

Die beiden Doppelhaushälften in ihrer vollen Pracht.

Ursprünglich war das Haus während der 80er Jahre besetzt, bis es vom Studentenwerk aufgekauft wurde und die Menschen dort wohnen bleiben durften. Jedoch war es zu keinem Zeitpunkt ein klassisches Wohnheim in dem Sinne, sondern es bestand schon immer ein hoher Anspruch an Selbstverwaltung und es gab kein „anonymes Wohnen“ wie in manch anderem Wohnheim.

So wohnen im Haus in der Goßlerstraße auch heute noch 30 Menschen, die alle Teil der Projektgruppe sind. Überwiegend setzt sich die Gruppe aus Studis und Geflüchteten zusammen, wobei ihnen neben einem gemeinschaftlichen und solidarischen Umgang wichtig ist, dass Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen Zugang zu dieser Art von Wohnen bekommen. Während wir im Garten sitzen, kommen immer wieder Menschen aus dem Haus, setzen sich mit Lernmaterialien oder einem netten Roman in eine stille Ecke und genießen die Vorzüge des großzügigen und glücklicherweise schattigen Gartens. An dieser Stelle schaltet sich eine weitere Person ein, die bisher gemütlich in der Hängematte leicht im Wind gebaumelt hatte. Er berichtet mir, dass prinzipiell jede/r dort Wohnen und Teil der Gruppe sein kann. Wichtig ist dabei nur, dass man dieselben Ansichten bezüglich des Umgangs miteinander hat und eine ähnliche politische Haltung haben sollte. Die Hausprojektgruppe versteht sich, so Feli, als linksradikal.

Miete muss selbstverständlich weiterhin bezahlt werden, wobei es „dem Verein allerdings in keiner Weise darum geht, sich selbst zu bereichern“. Zudem hat man als Bewohner/in des Hauses die Möglichkeit, seine Miete in einen „Topf“ zu werfen, bei dem aber jede/r die Freiheit hat nur so viel hineinzuwerfen, wie er/sie gerade kann. Natürlich muss der Topf am Ende trotzdem voll sein, was zur Folge hat, dass manche Menschen mehr als andere bezahlen, eben je nach ihren Möglichkeiten. Die andere Variante ist, dass man einen Festpreis für sein Zimmer bezahlt.

In Zukunft möchte die Gruppe, neben der immer fortschreitenden Renovierung, ihr Netzwerk an Häusern in und um Göttingen weiter ausbauen, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu beraten. Zudem möchten sie durch Veranstaltungen, wie Workshops, Konzerte im Garten, politische Veranstaltungen oder ein Straßenfest auf sich aufmerksam machen.

Für mich persönlich wäre diese Art des Wohnens definitiv eine gute Alternative zum „normalen“ Studentenwohnheim, grade durch den gesellschaftlichen Aspekt, dass alle voll und ganz hinter dem Projekt stehen, sich gegenseitig unterstützen und auch politisch mehr oder weniger einer Meinung sind. Allerdings würde ich mir von Zeit zu Zeit vermutlich wünschen, dass ich mal komplett meine Ruhe hätte, was in dem Haus in der Goßlerstraße 17 in den nächsten fünf bis sechs Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach nicht möglich sein wird. Baustellen, soweit das Auge reicht!

Am Ende unseres kleinen Interviews führt Feli mich noch einmal kurz durch das Haus, das in zwei Hälften mit je vier WGs aufgebaut ist. Das Haus ist durch die hohen Decken des Altbaus echt noch schön kühl. Ganz im Gegensatz zum Garten. Es herrscht eine sehr angenehme Stimmung, in der Küche kocht jemand und es riecht sehr gut. Als wir das Haus verlassen, schwingt sich eine Frau mit den Worten „Ich fahre nochmal schnell in die Uni Feli, bist du nachher da?“ auf ihr Fahrrad und fährt davon. Am Ende ist es eben doch nur eine ganz „normale“ WG, die bloß ein etwas anderes Konzept hat und in einem eigenen Haus lebt.

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